Das Geheimnis der Raffia-Nuss

15 Juli 2017

Wer über die Seychellen und ihre Naturwunder spricht, der spricht als allererstes über die sagenumwobene Riesen-Nuss, die Coco-de-Mer. Als zweites erinnert er sich bestimmt an die leckere Kokosnuss, entweder direkt vom Baum, mit der Machete aufgeschlagen und als herrlich tropisches Getränk serviert oder aber als Milch, die zahlreiche Curry-Gerichte verfeinern darf. Da ich aber schon immer leidenschaftlich gern „Das Märchen von den drei goldenen Nüssen“ angeschaut habe, kommt nun die dritte Zaubernuss, die sogar in meinem Garten auf Mahé wächst. – Hier ihre Geschichte, hier ihr Geheimnis:

In den unberührten Tropenwäldern Madagaskars und auf den Inseln des Indischen Ozeans wächst eine seltene Palme. – die Raffia-Palme (Raphia). Obwohl nicht allzuviel über ihre Gattung und ihre ca. 20 Arten bekannt ist, weiß man aber eines: Sie hat die wohl längsten Blätter der Welt. Bis zu acht­zehn Meter lang können die dunkelgrünen gefieder­ten Wedel werden, die aus einem kurzen rot­braunen Stamm in die Luft ragen. Ihre Blattgründe und Blattstiele, aus denen die Einheimischen Rollos zu basteln wissen, sind ocker bis orange gefärbt: In Verbindung mit den steif ansteigenden Blättern bietet sie einen unvergeßlichen, wirren und geheimnisvollen Anblick.

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Den Kopf in der Sonne, die Füße im Wasser: So hat es die Raffia gern. Nicht leicht ist es aber für sie, in unwirtlichen Felsen oder heißen Tropengebieten einen schattiges feuchtes Plätzchen mit gleichzeitig hellem Ausguck zu finden – ihr bevorzugter Stand­ort. Doch auf den paradiesischen Seychellen gibt es ein paar Flecken, wo fast ideale Bedingungen herrschen. Hin und wieder plätschern kleine Bäche durch die Granitberge, an dessen sumpfigen Ufern sich die Raffia ansiedelt. – Genau so ein Bach umzingelt und überquert unser Grundstück hoch oben an den Berghängen der Anse Louis.

Acht bis zehn Jahre braucht die Raffia-Palme, bis sie Nüsse trägt. Zwischen den Blattstielen schieben sich dann langsam mehrere Meter lange, dunkel­braune Samenstränge hervor. Sie sehen aus wie riesige gewundene Seile und Taue oder wie dicke geflochtene Bastzöpfe. Manche haben einen Durch­messer von bis zu 30 cm und fallen fast bis auf den Boden herab. Scheinbar regungslos hängen sie in dieser Form mehrere Monate, bis sich dann endlich an manchen Stellen die Stränge öffnen. Unter ei­nem schützen­den bastähnlichen Geflecht kommen kleine Zweig­hände zum Vorschein. Wie Mini-Besen sehen sie zunächst aus.

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Nach wiederum mehreren Monaten sind allmählich die Ansätze von winzigen Knoten zu sehen. Aber erst nach zwei Jahren fallen diese als dunkle Kugeln zur Erde.

Keimfähige Samen sind extrem selten. Wenn sie dann aber ihren kleinen Spross durch die mittlerweile fast verrottete Schale ausstecken konnten und an einer geeigneten Stelle Fuß gefaßt haben, dann wachsen sie extrem schnell. Nur: Umsetzen lassen sich die Jungpflanzen nicht. Bietet man ihnen einen anderen Ort an, gehen sie innerhalb weniger Wochen ein.

Da die Palmen in einem meist schwer zugänglichen Gelände stehen, ist es mit großen Schwierigkeiten verbunden, diese Samen zu sammeln. Gelingt es aber dennoch, heißt es Geduld haben. Die herab­gefallenen Samen selbst sind auf dem modrigen Tropenboden kaum zu erkennen. Wenn sie aber von den dünnen, sie festumschließenden Pflanzen­fasern befreit sind, sieht das Äußere der Schale aus wie ein ebenmäßig geschlossener Tannenzapfen – nur glatter und wie mit einem Hochglanzmittel perfekt poliert. Erst nach mehreren Wochen Trock­nungsprozeß können sie geöffnet werden. Unter der Zapfenhaut verbirgt sich zunächst eine völlig unscheinbare, aber steinharte Nuß. Schmutzig sieht sie aus, unattraktiv und langweilig. Nur mit zäher Ausdauer und einigem Schleifmitteleinsatz läßt sie sich von ihrem häßlichen Schutzmantel befreien.

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Dann aber – aber nur mit dem richtigen Know-how und Werkzeug – gelingt die Verwandlung.

Aus dem steinernen Kern wird eine Nuß von unglaublicher Anmut – ein Handschmeichler mit mattem Glanz und einer Maserung, die einer perfekten Mischung aus Elfenbein und Wurzelholz gleich.

Für die Kreolen – die Einheimischen der Inseln im Indischen Ozen – hatten diese Nüsse Zauberkraft; man erzählt sich noch heute, daß eine pulverisierte Nuß im Tee zu magischen Kräften führt. Im Alltag dienten die Raffia-Nüsse einer anderen ganz praktischen Angelegenheit: Sie konnten in Scheiben gesägt werden, um daraus Knöpfe herzustellen.

Die Kolonialherren des 18. Jahrhunderts aber er­kannten den wahren Wert dieser seltenen Tropen­schönheit und brachten die Nüsse z.B. an den fran­zösischen Hof. Dort wurden sie in Wunderkammern oder Vitrinen zur Schau gestellt – mehr als 3.000,– Euro hat jüngst ein solches Exponat im Auktions­haus Christie’s gebracht…