Tag: Ortsbeschreibungen

Keine Namen, keine Nummern

14. Oktober 2015

Wie ist das eigentlich auf einer Insel, die gerade mal 27 Kilometer lang und maximal 11 Kilometer breit ist. Oder noch präziser gefragt: Wie ist das eigentlich im Paradies? Braucht man da Straßennamen und Hausnummern? Eigentlich nicht, oder? Die wichtigsten Ortsangaben auf den Seychellen (nehmen wir mal Mahé als Beispiel) orientieren sich nach den Himmelsrichtungen, wie North East Point oder West Coast Road, oder an Bergen, wie Mount Buxton oder Mont Fleuri. Oder nach den Buchten, wie Anse Royale oder Anse Forbans.

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Jeder weiß, was damit gemeint ist. Und was dort zu finden ist, z.B. der typische „Birnenfelsen“ am nördlichen Arm der Anse Forbans.

In der Hauptstadt Victoria sieht das natürlich anders aus, hier gibt es doch mehr als nur eine Berg- oder Küstenstraße und so finden sich hier „avenue“, „street“ und Co. Je weiter wir in den stark zersiedelten Speckgürtel Victorias vordringen, desto weniger häufig begegnen wir richtigen Straßennamen. Aber immerhin:  Die Distrikte haben hübsche Bezeichnungen. Und jeder weiß z.B., dass sich hinter Bel Air ein Nobel-Vorort verbirgt oder dass Perséverance nichts weiter als eine hässliche, aufgeschüttete Kunstinsel ist, die öden sozialen Wohnungsbau beheimatet.

Und wie ist das sonst so auf der Haupt-Insel Mahé? Wie bereits angedeutet: Wichtigstes Orientierungsmerkmal sind die Buchten. Danach hört es aber schon auf. Ich wohne z.B. offiziell in der Anse Louis, aber diese Ecke erstreckt sich doch über ein größeres wenig übersichtliches, Areal zwischen Anse La Mouche und Anse Boileau.

Anse Louis, dazu gehören sowohl kleine Siedlungen am Meer genauso wie Wellblechhütten an unbefestigten Wegen in tiefen Tälern, oder vereinzelte Häuschen, die sich in die Berge schmiegen. Alles ist Anse Louis. Straßennamen Fehlanzeige, Hausnummern erst recht. Wir behelfen uns mit umständlichen Beschreibungen: „Ich wohne da unten, dans bambou, im Bambus“ oder „Ich wohne dort oben, neben der Kirche Notre Dame de La Salette“. Das war’s dann aber auch scho. Und es muss reichen, damit wir die Nachbarn zielsicher finden und unsere Freunde besuchen können.

Oder damit andere uns zielsicher finden und besuchen können.

Dass selbst hoch offizielle Termine und öffentliche Veranstaltungen mit diesem Manko klarkommen müssen, habe ich am vergangenen Wochenende eindrucksvoll erlebt. Hier der Beweis:

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Eine der großen seychellischen Parteien lädt die interessierte Öffentlichkeit zu einer politischen Kundgebung ein. Und wo findet sie statt? In Au Cap. So weit, so gut. Aber auch wenn Au Cap auf dem Plakat in großen Lettern geschrieben ist, das macht die Sache nicht einfacher, denn Au Cap ist genauso weitläufig wie Anse Louis. Daher die präzise Ortsangabe des Treffpunkts laut Aushang:

Unter dem Jamalak-Baum,
am Ufer des Meeres (also am Strand, wo sonst?),
gegenüber vom Dorado-Guesthouse.

Kommt alle zahlreich, wir diskutieren über die Zukunft unseres Landes, heißt es da sinngemäß. Mein Nachbar will auch dorthin. Sagte er mir zumindest am Sonntag früh. Dennoch: Als ich ihn heute nach diesem Treffen frage, berichtete er mir, dass er gar nicht da war. Warum, will ich wissen und ich vermute, dass er den Ort des Geschehens wegen der etwas rustikalen Beschreibung nicht gefunden hat.

Nein, das war nicht der Grund. Er hatte nämlich gehört, dass es kein Freibier gab, also hätte sich doch der Weg nach Au Cap zum Jamalak-Baum am Ufer des Meeres gegenüber vom Dorado-Guesthouse gar nicht gelohnt…