Wer nach Bird Island reist, der tut es vor allem wegen der atemberaubend schönen, unberührten Natur und der faszinierenden Vogelwelt.
Kein Wunder, dass dann einer der ersten Streifzüge über die Insel durch den dunklen Palmenwald an den nördlichen Teil der Ostküste nach „Hirondelle“ führt – einer winzigen Bucht, die sich mit dem französischen Wort für Schwalbe schmückt. Bevor der Weg ans Wasser führt, passiert er eine kleine Farm. Das fröhliche Quieken junger Ferkel, das schmatzende Geräusch der Sauen, die sich genüsslich im Schlamm suhlen, die scharrenden Hühner mit ihren aufgescheuchten Jungen grüßen aus dem Gebüsch.
Doch dann verfängt sich mein Blick im Ufergehölz, in das sich eine kleine Hütte aus Treibholz und Palmwedeln kuschelt.
Diese kleine Hütte war doch vor wenigen Wochen noch gar nicht da, kommt es mir in den Sinn. Und als könnte sie meine Gedanken lesen, ruft mir eine gut gelaunte Frau zu: „Hello, welcome to my new place“. Die Stimme, die da so freundlich grüßt, kenne ich doch… genau, das ist doch die von Jenny! Jenny war früher als Zimmermädchen in der Lodge von Bird Island beschäftigt und beeindruckte mich schon immer durch ihr ansteckendes Lachen und ihre warmherzige Art.
„Kommt rein in mein kleines Reich, schaut Euch in aller Ruhe um!“, winkt uns Jenny heran und so sehen wir staunend, was sie sich für ein Kleinod geschaffen hat. Unter dem Dach aus geflochtenen Palmblättern baumeln selbstgebastelte Mobile aus Muscheln im Wind und verzaubern uns mit ihrem zarten Klimpern. An der Decke hängt – so erklärt Jenny stolz – ein kleiner „Helikopter“ mit hölzernen Rotorblättern, die sich bei genauem Hinsehen als die schiffchenähnlichen Blütenstände von Kokospalmen entpuppen. Da gibt es Kokosnusshälften mit Emaille-Verzierungen, da warten in Bast eingebundene Notizbücher auf neue Besitzer, da schmücken sich Armbändchen mit Fischzähnen, da freuen sich Holzdosen auf neuen Inhalt, da winken bunte Pareos mit tropischen Mustern… Und außerdem gibt es sensationelle Vogel-Fotografien, allesamt aufgenommen von Roby Bresson, dem Wildhüter auf Bird Island, der keine Zeit und Mühen gescheut und wundervolle Holzbilderrahmen gebastelt hat – im Vintage-Look, frei von jedem Kitsch-Faktor, dafür die unglaubliche Natur von Bird Island eingfangen…
Und zwischendrin in all diesen kleinen Kunstwerken Jenny, die mir immer wieder sagt, wie sehr sie sich freut, dass ich vorbeigekommen bin.
„Du musst Durst haben, bei der Hitze“, sagt sie und schaut sorgenvoll meine Schweißperlen auf der Stirn. In der Tat: Etwas zu trinken käme jetzt genau richtig! Und schon greift Jenny nach hinten und reicht mir eine frisch aufgeschlagene Kokosnuss. Aaaah, wie gut schmeckt doch „delo koko“, das Kokoswasser! Als ich mein Portemonnaie zücke, winkt Jenny ab. „Nein, nicht doch! Alle meine Kunden und die Gäste von Bird bekommen Kokosnüsse umsonst.“ Ich bin perplex. Und als ihr ein 25-Rupie-Schein hinlegen will, wird sie fast etwas böse. „NIX für die Kokosnuss, kauf mir halt in Gottes Namen eine Kleinigkeit ab! Und ansonsten bin ich glücklich, wenn Du glücklich bist“. Schmunzelt und nestelt zu guter Letzt in den bunten Wickeltüchern…
…doch ich entscheide mich für einen türkisblauen Perlenarmreif mit kleinen Muscheln, der mit den Farben des Ozeans wetteifern will. Jenny und das Wasser rufen mir zu: „Erst mal ein Bad in den Wellen nehmen, bevor Du ihn anlegst.“ Und genau das mache ich auch.
Nach dieser wundervollen Erfrischung in einem Meer, wie es schöner nicht sein könnte, kommt dann prompt die Überraschung: „Hey, ich koche für Dich!“ – und noch ehe ich richtig begreife, was hier eigentlich gerade abgeht, zaubert Jenny ein kreolisches Tisch-Buffet auf einem Holzbrett mirnix dirnix aus dem Ärmel: „kari poul“, also ein würziges Hühnchencurry, dazu ein „frikase zironmon“ – ein Kürbiseintopf mit frischer „sosis“, kreolischer Wurst, wie ich sie noch nie gegessen habe. Es könnte leckerer und schöner nicht sein. Ich lecke mir die Finger, mein Blick schweift ab, und bleibt abermals hängen, nämlich zwischen Baumstämmen, die eine Yacht weit draußen sanft umarmen.
Für mich steht fest: Bird Island und ganz besonders Hirondelle mit all seinen Seeschwalben, mit den vielen schönen Sachen in Jenny’s „laboutik“, in diesem winzigen, liebevoll eingerichteten Geschäft, mit diesem irre Licht, mit diesem berauschenden Blick, mit all dem, was ich hier am Rande des Universums nicht erwartet habe – all das macht eine eigentlich belanglose Inselecke zu einem magischen Platz.
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Ort: „Jenny’s Place“ – kleine Boutique mit Sitzgelegenheiten und kostenloser Erfrischung aus Trinkkokosnüssen in der Bucht von „Hirondelle“; nördliche Ostküste von Bird Island
Öffnzungszeiten: von früh bis spät – einfach vorbeischauen, wenn niemand am Verkaufsstand ist, dann einfach rufen „Jenny – oli ou?“ (Jenny, wo bist Du?) oder „Jenny – ou la?“ (Jenny, bist Du da?). Sollte Jenny nicht da sein, dann ist gewiss ihr Lebensgefährte Darrel nicht weit!
Besonderheiten: Der Strand von Hirondelle ist meist ein genialer Badestrand mit tollen Schnorchelgründen, aber nur dann, wenn das Meer wirklich ruhig ist. Sollten sich höhere Wellen oder gar Brecher bilden, dann ist absolute Vorsicht geboten! Das vorgelagerte Riff hat einen Durchlass ins offene Meer, und hier können brutale Strömungen herrschen, gegen die man machtlso ankämpft und die einen schlimmstenfalls hinaus auf hohe See tragen. Es gibt hier weder eine „bay watch“ noch die Möglichkeit eines Notrufs!
Kleine Empfehlung: Einfach eine winzige Kleinigkeit bei Jenny kaufen, darüber freut sie sich riesig. Und wenn tatsächlich nichts dabei sein sollte, dann genüsslich eine geöffnete Kokosnuss schlürfen und ein bisschen Trinkgeld geben, z.B. 10 bis 25 Rupies. – Wird dann alles noch mit einem Lächeln begleitet, dann stehen die Herzen weit offen! Und Bird Island wird gleich nochmal so schön, wie es eigentlich schon ist!
Eigentlich war es nichts anderes als Fernweh und die Suche nach dem perfekten Inselidyll, was Heike Mallad auf die Seychellen brachte: 1998 verbrachte sie zum ersten Mal eine Woche auf den Trauminseln im Indischen Ozean.